Die stillen Helfer der EU-Demokratie

Wer das Europäische Parlament besucht, wird erstaunt sein, dass in den Fluren, Aufzügen und Büros dieses Apparats der EU-Machtmaschinerie so viele junge Leute zu sehen sind. Viele davon arbeiten als sogenannte APAs. Die „akkreditierten Assistenten“.

Die Assistenten des Parlaments litten in den letzten Monaten unter einem schlechten Ruf. Aus Frankreich kamen Scheinbeschäftigungsskandale rund um den Front National und Marine Le Pen, dann griffen diese Skandale sogar auf moderate Abgeordnete. Politiker nutzten das Geld des europäischen Steuerzahlers, um Freunde und Bekannte als Assistenten zu bezahlen, so der Vorwurf. Oder, um innenpolitische Arbeiten zu erledigen. Eine ganze Zunft wurde verunglimpft.

Dabei handelt es sich hier um eine Minderheit. Wer einen normalen Assistenten im EU-Parlament einmal länger beobachtet, wird schnell merken, dass es sich hier keineswegs um einen Job handelt, bei dem man ohne Arbeit viel Geld absahnen kann.

„Ich will nicht sagen, dass es in der EU keine Beamten gibt, die sehr gut verdienen und sich dabei auch nicht überarbeiten. Das gibt es überall – in allen Hauptstädten“, sagt Meris Sehovic. Sehovic, Jahrgang 1991, ist der Büroleiter von Claude Turmes, dem EU-Parlamentarier von Déi Gréng. Eigentlich ist er im Urlaub, doch er nimmt sich Zeit für ein Treffen, trotz der offiziellen Sommerpause – und auch sonst verlässt die Arbeit ihn nie für sehr lange. „Was man aber oft vergisst: die Verträge der Assistenten sind keine Beamtenverträge“, erläutert der junge Mann überzeugt. Im Gegenteil: „Es gibt eigentlich eher viele junge Menschen, die nach Brüssel kommen und viel arbeiten für wenig Geld.“

Unermüdliche Helfer

Auch Jennifer Jenkins, 34 und Assistentin vom CSV-EU-Parlamentarier Georges Bach, sieht es mit dem Arbeitspensum ähnlich. „Ich kenne keinen, der um fünf nach Hause geht. Das gibt es einfach nicht.“

Jenkins und Sehovic gehören jener Fauna an, ohne die das Alltagsgeschäft des EU-Parlaments nicht laufen würde. Im Schatten ihrer Abgeordneten erledigen die rund 4 000 Assistenten, die in Straßburg und Brüssel aktiv sind, jene Aufgaben, die es ihrem Chef erlauben, politisch so effizient wie möglich zu sein.

Wie diese genau aussieht, ist sehr schwer zu erfassen, denn es hängt vollkommen vom Stil und von der Vorstellung jedes einzelnen Abgeordneten ab. Es sei „unmöglich, zu verallgemeinern“, meint Jennifer Jenkins.

Und in der Tat. Während zum Beispiel französische Abgeordnete parteipolitische Assistenten bevorzugen, werden die Mitarbeiter von deutschen und österreichischen Abgeordneten hingegen auch als Büro-Leiter, wissenschaftliche Mitarbeiter, Sekretäre oder persönliche Referenten angestellt. Die Tätigkeiten, die die Assistenten ausüben, sind demnach annähernd so unterschiedlich und vielfältig wie die Zahl der Abgeordneten und deren Charaktere.

Für Meris Sehovic gibt es dennoch verschiedene „Modelle“ von Assistenten. „Die Büros der Parlamentarier sind sehr fachorientiert und der Abgeordnete stellt gerne Experten ein. Die politische Verbindung mit der Hauptstadt übernimmt dann der lokale Assistent und die Mitarbeiter in Brüssel arbeiten eher sachorientiert“, analysiert er. „Beim anderen Modell, in dem wir uns bewegen, sorgt man von Brüssel aus dafür, dass politische Strategien entwickelt werden.“ Das bedeutet: „Akten politisch einschätzen und gleichzeitig aber auch Verbindungen mit den Akteuren und der Regierung in Luxemburg herstellen und dann sehen, wie man ein Dossier angeht“.

In Brüssel, so Meris Sehovic weiter, „sitzt man an der Quelle“, was für diese Methode ausschlaggebend sein kann. Themen wie Freihandelsabkommen oder agrarpolitische Fragen werden in Brüssel verhandelt und finden dann ihren Niederschlag in der nationalen politischen Debatte. Hier müssen die Mitarbeiter alle Elemente im Auge behalten.

„Alles bewegt sich ständig“, sagt auch Jenifer Jenkins, „Institutionen, Parteien. Jeden Tag ändert sich viel, kein Tag gleicht dem anderen und man versucht alles im Auge zu behalten.“

„Augen und Ohren“

„Du bist hier ein Filter für deinen Chef“, sagt Jenkins über ihre Arbeit. „Alles läuft über dich. Alles, was dein Abgeordneter wissen muss, wird durch dich gefiltert. Dein Chef bekommt dann das zu sehen, was er für seine Arbeit braucht. Du bist also Augen und Ohren des Parlamentariers. Ich muss permanent mein Netzwerk spielen lassen, um meinen Chef bei seiner Arbeit zu unterstützen.“ Dazu gehört, „sich über das zu informieren, was in anderen Fraktionen läuft, in anderen EU-Organen, in den verschiedenen Mitgliedstaaten.“

Diese ständige Überwachung der politischen Lagen in ganz Europa macht die Arbeit so spannend und interessant, meinen Jenkins und Sehovic. „Das ist intellektuell interessant“, sagt beispielsweise der Turmes-Mitarbeiter. „Um unsere Arbeit effizient erledigen zu können, reicht es nicht, bloß die politische Lage in Luxemburg zu kennen, sondern wir müssen auch immer im Auge behalten, was in anderen Ländern passiert. Wir brauchen eine globalere, europäische Analyse von politischen Sachverhalten. Das macht Brüssel so einzigartig.“

„Europäischer Idealismus“

Was auch eine Brüsseler Eigenart ist, ist der Hintergrund der Assistenten im Europaparlament. Meris Sehovic ist zwar Sprecher von „Déi jonk Gréng“ in Luxemburg und dadurch parteipolitisch aktiv, doch im Gegensatz zu den politischen Mitarbeitern in den nationalen Parlamenten, ist er dadurch eher in der Minderheit in Brüssel und Straßburg.

In „Les équipes parlementaires des eurodéputés. Entreprises politiques et rites d’institution“, ein Buch über die Mitarbeiter im EU-Parlament, hat der französische Politsoziologe Sébastien Michon herausgefunden, dass die Assistenten in Straßburg und Brüssel sich eher durch ihre Professionalität als durch ihre Parteizugehörigkeit auszeichnen. Für Jennifer Jenkins, die parteipolitisch nicht aktiv ist, ist ein anderes Element allerdings auch ausschlaggebend. „Mein Hintergrund ist pro-europäisch. Ich glaube an das europäische Projekt, ich bin fundamental pro-europäisch und so bin ich ins EU-Parlamentgekommen. Durch meine Arbeit kann ich zu einem Teil zum europäischen Projekt beitragen.“

Auch für Meris Sehovic spielt dieses Element mit. In Brüssel sei dieser „europäische Idealismus“ bei jungen Menschen durchaus spürbar. Das verbindet auch und fördert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Mitarbeitern – auch wenn sie für politische Gegenspieler arbeiten. Oft herrscht Vertrauen untereinander, denn es geht um mehr, als reine parteipolitische Interessen.

Assistent im EU-Parlament bleibt man allerdings nicht ein Leben lang. Zudem bietet dieser Job die Möglichkeit, viel zu lernen, um danach einen anderen Weg einzuschlagen. „Klar, dass dieses Umfeld dir erlaubt Erfahrung und Kompetenzen zu sammeln, die überall nützlich sein können – sowohl privat als professionell. Die Mehrsprachigkeit des Umfelds, die dich dazu zwingt, permanent in vier Sprachen zu arbeiten“, sagt beispielsweise Sehovic.

Das hat Sébastien Michon auch bemerkt, und die Zukunftsperspektiven der Mitarbeiter der Abgeordneten analysiert. Für die meisten ist eine europäische Karriere wahrscheinlich, hat er herausgefunden. Als Lobbyist oder als Mitarbeiter in einer anderen EU-Institution – etwa in einer ständigen Vertretung eines Landes oder in der Europäischen Kommission.

Obwohl Brüssel jenseits der EU-Blase wenige Träume erweckt, kann man sich aber auch ganz schnell in die Arbeitsdynamik der EU-Zentrale verlieben, wie Michon zeigt. Brüssel zu verlassen, scheint den Assistenten in der Regel sehr schwer zu fallen.

Meris Sehovic