Vom Klima-Sünder zum Klima-King

Das luxemburgische Modell neu denken

Wissenschaftler warnen seit mehr als drei Jahrzehnten vor den Gefahren des Klimawandels. Eine interna- tionale Klimakonferenz jagt seitdem die nächste, von Genf 1990, über Rio 1992, Kopenhagen 2008, bis Paris 2015. In Paris gelingt zu guter Letzt der Durchbruch: Die Wissenschaft ist endlich gehört worden und lang- sam aber sicher setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Klimawandel eine politische Priorität sein muss.

Luxemburg hat dabei eine besondere Verantwortung: Unter der EU-Ratspräsidentschaft war die Umweltministerin Carole Dieschbourg maßgeblich am Erfolg der Verhandlungen in Paris beteiligt. Nun muss Luxemburg auch Vorreiter sein, wenn es um die Umsetzung des Weltklimavertrages geht. Auch unsere außenpolitische Reputation, die oft durch das schlechte Image des Finanzplatzes leidet, würde hier- von profitieren.

Luxemburg als Modellregion für Elektromobilität

Unsere eigene Gesundheit und unser Wohlbefin- den stehen in direktem Zusammenhang mit der Gesundheit unserer Natur und des Klimas. Reine Atemluft, sauberes Wasser und intakte Natur sind Grundvoraussetzungen für eine hohe Lebensqua- lität. In Luxemburg wird dies besonders deutlich, wenn wir das schnelle Wachstum betrachten und die daran gekoppelten Emissionen aus dem Trans- portsektor, die nicht nur einen großen Teil unserer Klimaemissionen ausmachen, sondern auch dank luxemburgischer Diesel-Manie ein wesentlicher Treiber für schlechte Luft in unseren Städten sind.

Wenn wir den Pariser Klimavertrag ernst nehmen, dann muss der Verkehrssektor in ganz Europa bis spätestens 2035 komplett dekarbo- nisiert werden. Die aktuelle Regierung hat die Eckpfeiler der luxemburgischen Verkehrswende eingeschlagen und z.B. mit der flächendecken- den Installation von Ladestationen für Elektro- mobilität echte Pionierarbeit in Europa geleistet. Diese Entwicklung wird die nächste Regierung unbedingt vorantreiben müssen, etwa indem sie mit gutem Beispiel vorangeht und den gesamten staatlichen Fuhrpark (Autos, Transporter, Busse, Lastwagen, etc.) auf 100% Erneuerbare Elektro- mobilität umstellt. Luxemburg kann weltweit zu einer Modellregion für saubere Elektromobilität werden.

Klima goes digital

In gewisser Hinsicht leben wir in Luxemburg in einem Widerspruch, der unserem Klima täglich schadet. Während klimaschädliches Verhalten durch Steuerzuschüsse und anderweitige Anreize belohnt wird, gewährt der Staat nur wenige Be- lohnungen für klimafreundliche Lebens- und Konsumweisen. Die nächste Regierung wird die- ses Paradox auflösen müssen, insbesondere im Verkehrssektor. Wenn die Rahmenvoraussetzun- gen für die Verkehrswende geschaffen sind, müs- sen fossile Brennstoffe höher besteuert werden. Zugleich sollte die nächste Regierung aber auch aktive Klimaschützer belohnen. Die kürzlich vor- gestellte „Copilote“-App für Fahrgemeinschaften zeigt, wie so etwas aussehen könnte. Wer die App nutzt, bekommt die Fahrtkosten aus dem staat- lichen Kyoto-Fonds erstattet. Klimaschutz muss im Alltag einfacher werden und vom Staat durch Bonussysteme belohnt werden, die nachhaltigen Konsum und klimafreundliche Lebensweisen för- dern. So kann eine positive Dynamik ausgelöst werden, welche die zahlreichen Initiativen wie Klimapakt, Genossenschaften für lokale Energie- Autonomie, usw. unterstützt.

Klimaschutz schafft Wohlstand

In Sachen Klimaschutz steht unser Land am Scheideweg, denn die heute vieldiskutierte wirt- schaftliche Entwicklung des Großherzogtums ist eng an die Frage des Schutzes unseres Klimas und unserer natürlichen Ressourcen gekoppelt.

Der Rifkin-Plan bietet einen belastbaren Fahrplan für die Schaffung eines klimaneutralen luxemburgischen Wirtschaftsmodells. Im Kern geht es um ein wirtschaftliches System, in dem Unternehmen auf grüne Technologien setzen und ressourcen- und stromsparende Produktionspro- zesse etablieren. Die nächste Regierung muss die Rifkin-Strategie mit Leben füllen und zu einem verbindlichen – d.h. einklagbaren – Instrument der luxemburgischen Wirtschaftsstrategie machen. Sie wird dafür auch die Prozeduren für die Niederlas- sung von Unternehmen grundsätzlich reformieren müssen. Im Zeitalter des Pariser Weltklimavertra- ges ist es nicht tragbar, dass der Wirtschaftsmini- ster eine Niederlassungserlaubnis ausstellt, bevor die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivität auf die menschliche Gesundheit, das Klima und die Natur evaluiert wurden. Die sehr begrenzten Gewerbe- flächen müssen Unternehmen vorbehalten bleiben, die in innovative, lokale und umweltfreundliche Wertschöpfungsketten investieren.

Die Segel sind gesetzt

Mit der ersten Regierungsbeteiligung der Grünen ha- ben Klima und Natur eine starke Stimme erhalten und sind keine Nischenthemen mehr. Die nächste Regie- rung wird diesen Weg konsequent weitergehen müssen. Als kleines und offenes Land im Herzen Europas, mit den kurzen administrativen und politischen Wegen, die unser Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell auszeich- nen, ist Luxemburg in einer einzigartigen Lage. Statt auf Steuerwettbewerb und -dumping zu setzen, kann das luxemburgische Modell zum Modellbeispiel da- für werden, wie Umwelt- und Klimaschutz als Treiber wirtschaftlicher Entwicklung und Innovation wirken.

Das nächste Jahrzehnt ist entscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel und zugleich auch für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausrichtung Luxemburgs. Die Segel sind gesetzt, jetzt muss unsere Generation für den nötigen Wind sorgen.

Meris Sehovic